Wörtlich oder symbolisch?
Die Offenbarung enthält viele Bilder, die aus einer anderen Welt zu stammen scheinen. Sollen wir sie alle wörtlich nehmen oder sind sie symbolisch gemeint? In gewissem Sinne ist beides richtig. Aber ich greife vor.
Keine einfache Antwort
Grundsätzlich ist es nicht einfach zu sagen, ob etwas in der Bibel symbolisch, wörtlich oder sogar beides ist.
Ein Beispiel ist die erste Plage in Ägypten, bei der sich der Nil in Blut verwandelt. Sie beschreibt die symbolische Tötung des Nilgottes, aber andererseits ist das Wasser wirklich rot wie Blut geworden.
In diesem Kapitel soll untersucht werden, wie dies im Buch der Offenbarung geschieht.
Das Anliegen des Buches
Schauen wir uns zunächst an, was für ein Buch wir vor uns haben: Es ist apokalyptisch, prophetisch und ein Brief.
Das müssen wir beim Lesen berücksichtigen:
- historischer Kontext für die ersten Leser (in Form eines Briefes) — wir erwarten einige klare historische Bezüge, die für die ersten Leser Sinn machen, z.B. einige Plagen oder Bilder aus ihrer Zeit.
- den geistlichen Kontext (z.B. in Form einer Apokalypse): Das Buch will den Leser provozieren, damit er eine Entscheidung trifft. Deshalb werden starke emotionale Bilder und eine symbolische Sprache verwendet, um die geistige Realität zu beschreiben, die nicht direkt sichtbar ist.
- die langfristige Perspektive (als Prophetie): Das Buch soll die Menschen motivieren und ermutigen, gegen das Böse aufzustehen, das sich in 2000 Jahren sehr verändert hat. Die Ereignisse können nicht wörtlich alle Ereignisse dieser Zeit beschreiben, sondern eher prototypische Ereignisse, die durch Symbole beschrieben werden.
Aber wir sollten uns den Text genauer ansehen.
Der Bezugsrahmen von Daniel
Es gibt einige Schlüsselpassagen in der Offenbarung, die einen starken Bezug zu Daniel 2 haben. Diese helfen uns auch, ein besseres Verständnis der Offenbrung zu bekommen. Daniel 2 hat auch sehr viele Parallelen zu Daniel 7, worauf wiederum an sehr vielen Stellen in der Offenbarung Bezug genommen wird.
Das Geheimnis
Diese Passage in Daniel ist die einzige in den prophetischen Büchern des Alten Testaments, in der das Wort “Geheimnis” vorkommt, ein Schlüsselwort in der Offenbarung, die vom
- Geheimnis der Gemeinde,
- Geheimnis Gottes und
- Geheimnis der Hure
spricht.
Was geschehen muss
Der Beginn der Prophetie in Daniel 2 mit “er zeigte … was in den letzten Tagen geschehen muss” wird fast wörtlich zu Beginn der Offenbarung und kurz vor den Sendschreiben zitiert.
Der Unterschied besteht darin, dass Offenbarung mit “zu zeigen … was bald geschehen muss” beginnt, was darauf hinweist, dass die Zeit, von der Daniel gesprochen hat, nun endlich (zur Zeit der ersten Leser) erfüllt ist, während kurz vor den Sendschreiben “was danach geschehen muss” geschrieben steht, wie in Daniel.
Auch die Einleitung nach den Sendschreiben verwendet denselben Ausdruck: “Ich werde dir zeigen, was danach geschehen muss.”
Auch das Ende der Vision (“hat dem König gezeigt, was danach geschehen muss”) ist dem Ende des Buches Offenbarung sehr ähnlich: “um seinen Knechten zu ziegen, was bald geschehen muss”.
Was lässt sich nun aus dieser Parallele schließen: Das Buch der Offenbarung verwendet die gleichen Ausdrücke wie das Buch Offenbarung, ebenso das Schlüsselwort Geheimnis. Da es sich bei der Vision Daniels um eine symbolische Beschreibung von Königreichen zugunsten des Reiches Gottes handelt, ist zu erwarten, dass auch das Buch Offenbarung, das ein ähnliches Thema behandelt, dieses Thema hauptsächlich symbolisch behandeln wird.
Aber es gibt noch einen anderen Aspekt, den wir beachten müssen.
deiknumi and semaino
Nein, der Titel ist kein Schreibfehler, sondern gibt die beiden Worte wieder, die den Charakter des Buches beschreiben: “Die Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gab, zu seinen Knechten zeigen (deiknumi) was bald geschehen muss. Er hat es bekanntgemacht (semaino), indem er seinen Engel zu Johannes gesandt hat”.
Diese beiden Verben sollten uns ein gutes Verständnis davon geben, wie Gott den Inhalt des Buches zeigen und bekannt machen möchte.
semaino
Dieses Wort wird auch in Daniel 2 verwendet, wo Daniel die Deutung der symbolischen Vision ankündigt. Im Neuen Testament wird das Wort nur fünfmal verwendet.
- Einmal sehr allgemein (angeben),
- ein zweites Mal wird eine möglicherweise symbolische Handlung beschrieben (zeigen), die an anderer Stelle klar symbolisch verwendet wird,
- während die anderen drei Stellen den Tod Jesu in symbolischen Art beschreiben (Johannes Kapitel 12, 18 und 21).
Das Substantiv wird häufig verwendet, um die Wunder Jesu als Zeichen für den Charakter seiner Sendung zu beschreiben, z.B.
- Er zeigte seine Macht, geistliches Leben als auch geistliche Auferstehung zu geben.
- Die Speisung der 5000 zeigt Jesu Macht, geistliche Nahrung zu geben.
Das Wort semaino kann natürlich auch bekanntmachen/ansagen bedeuten, aber dann wäre das Wort gnorizo näherliegender, welches er aber nicht verwendet hat.
deiknumi
Dieses Wort wird hier in der symbolischen Vision eines Engels verwendet (“um bekanntzumachen durch die Sendung eines Engels an seiner Knecht Johannes”), was, wie bereits erwähnt, eine Anspielung auf die Vision Daniels ist. Aber auch an anderen Stellen der Offenbarung wird das Wort verwendet, um eine Vision zu beschreiben, die Johannes gesehen hat, oft in Verbindung mit dem Sehen und der Deutung dieser Vision.
- Engel zeigen ihm den himmlischen Thronsaal und was dort geschieht, wie das Öffnen der Buchrolle durch das Lamm.
- Die Einleitung der Vision von der Hure in der Wüste, umgeben von vielen Wassern.
- Die Braut, die als die Stadt “Das Neue Jerusalem” beschrieben wird.
- Der Strom des Lebens, der vom Thron im Neuen Jerusalem ausgeht.
- Die Zusammenfassung, die auch eine Referenz auf Daniel ist.
- Die Zusammenfassung all dessen, was er sah und hörte, was oft etwas anderes war (Symbol gehört, Realität gesehen).
Schlußfolgerung
Nach diesen Überlegungen ist es sinnvoll, zunächst vom symbolischen Charakter des Textes auszugehen, vor allem dann, wenn er nicht eindeutig ist.
Darüber hinaus gibt es in der Offenbarung viele Dinge, die eindeutig symbolisch sind: das Lamm, der Drache, das Tier mit den Köpfen und Hörnern, das Buch mit den sieben Siegeln, das Schwert aus dem Mund Jesu, …